Zum Werk

Im Zentrum des Werks von Erika Streit steht die Auseinandersetzung mit dem Menschen, dessen Facetten sie anhand von Porträts, Selbstporträts wie auch Ganzfigurenbildern und Kompositionen von Figuren im Raum in grosser Variation untersucht. Landschaftsbilder und Stillleben entstehen nur wenige, abstrakte Tendenzen bleiben Einzelerscheinungen. Ist das Frühwerk noch ganz von Otto Dix und der Neuen Sachlichkeit geprägt (Maxe Bartel, 1932; Zwei Mädchenakte, 1931-1933), so ist ein erster stilistischer Wandel mit dem Aufbruch nach Paris festzustellen. Hiermacht sich die Auseinandersetzung mit der Kunst Paul Cézannes und Pablo Picassos bemerkbar wie auch der Versuch, sich von deren Einfluss zu lösen. So verarbeitet sie Picassos frühe kubistische Porträts, indem sie die analytische Auffächerung durch das Zusammenfügen von mehreren Ansichten, von Doppelporträts, in Vexierbildern ähnlichen Kompositionen vereinigt (Ovaler Knabenkopf, 1955-1956).

Die andauernde Beschäftigung mit klassischer Mythologie, Musik und Literatur sowie die Lust an Verschlüsselung und Symbolik führen zu einem leitmotivisch wiederkehrenden Repertoire an Sujets. Es sind dies vor allem Spiegel und Maske, Frau und Kind, Frauen am Fenster, Figuren am Meer, Licht und Schatten, die Welt des Zirkus – Motive, die nach der Flucht in die Schweiz weiter an Bedeutung gewinnen und einen zweiten Stilwandel auslösen. Ein zentrales Thema entwickelt sich Ende der 1950er-Jahre mit den Heimatlosen. Das Motiv ist nicht nur autobiografisch lesbar, sondern vermag ebenso in einem allgemeinen Rahmen Orientierungslosigkeit und allgemeinen Werteverlust zu thematisieren. Auch in den Darstellungen von Spiegel und Maske oder den Frauenporträts werden existentielle Fragen und Aspekte der Selbsterkenntnis ausgelotet (Mariechen, 1980–1982). Seit den 1960er-Jahren entstehen Zyklen mit Meditationsbildern zu Rudolf Steiners Anthroposophischem Seelenkalender. Die hohe Experimentierfreudigkeit auch in technischer Hinsicht führt Erika Streit neben der Monotypie und dem Tiefdruck zur fast ausschliesslichen Verwendung der Bienenwachskreide, in deren malerischer Qualität die Grundlage ihres gestaltreichen Spätwerks liegt.

Quelle: sik-isea_lexikonartikel 4001725_de.pdf / Text von Franziska Lentzsch